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Schlagwort: LAG Niedersachsen

Arztbesuch zur Arbeitszeit: Gibt es keine Sprechstunden außerhalb der eigenen Arbeitszeit, dürfen Arbeitnehmer zum Arzt

Wie Arbeitnehmer ihre Arztbesuche zu legen haben, ist eine gute Frage, die nun das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) abschließend entschieden hat.

Ein Monteur war seit vielen Jahren bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. Nach dem anzuwendenden Tarifvertrag erhielt er in allen Fällen unverschuldeter Arbeitsversäumnis das Entgelt für die unumgänglich notwendige Abwesenheit weiter – höchstens jedoch bis zur Dauer von vier Stunden. Der Monteur musste dann an einem Tag zu einem Orthopäden und hatte dort einen eineinhalbstündigen Arzttermin. Für die Zeit nach diesem Termin stellte er einen Antrag auf Freizeitausgleich, so dass er an diesem Tag rechtmäßigerweise nicht am Arbeitsplatz erschien. Die Arbeitgeberin zahlte für den Tag die Arbeitsvergütung und belastete das Arbeitszeitkonto mit den vollen 8,25 Stunden. Da der Monteur aber keinen Arzttermin außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit wahrnehmen konnte, da die Sprechstundenzeiten des Orthopäden bis 15:00 Uhr bzw. 12:00 Uhr waren, klagte er schließlich die Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto von eineinhalb Stunden ein. Und das erfolgreich.

Laut LAG hatte der Mann nämlich einen Anspruch auf Vergütung für die Dauer seines Arztbesuchs aus dem Tarifvertrag. Er war für die Dauer von eineinhalb Stunden unverschuldet an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert und es war ihm nachweislich unmöglich, einen Arzttermin außerhalb seiner Arbeitszeit wahrzunehmen.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten versuchen, eine Arbeitsversäumnis wegen eines Arztbesuchs möglichst zu vermeiden und Sprechstunden außerhalb der Arbeitszeiten wahrzunehmen, sofern keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Besuch vorliegen.

Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 08.02.2018 – 7 Sa 256/17

Thema: Arbeitsrecht

Arbeit im Ausland: Bei ausstrahlender Wirkung des inländischen Betriebs ist der Betriebsrat vor Kündigungen anzuhören

Das grenzüberschreitende Arbeiten weitet sich immer mehr aus. Das bedeutet auch ein Problem für das Betriebsverfassungsrecht; denn wann muss ein deutscher Betriebsrat angehört werden, wenn der Arbeitnehmer bereits seit Jahren im Ausland arbeitet?

 

Im Fall des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen ging um einen weltweit tätigen Konzern der Öl- und Erdgasindustrie. Eines der Konzernunternehmen hatte in Deutschland seinen Betriebssitz und organisierte den gesamten europäischen Bohrbetrieb. Außerdem wurden dort administrative Tätigkeiten durchgeführt, wie zum Beispiel die Buchhaltung und das Personalmanagement für Europa. Auch befand sich ein Betriebsrat in dieser Gesellschaft. Ein Arbeitnehmer, der seit 1978 als Bohranlagenmanager bei dieser deutschen Gesellschaft beschäftigt war, arbeitete seit 1999 durchgehend im Ausland. Nun erhielt er die Kündigung. Der Bohranlagenmanager klagte dagegen und meinte, der Betriebsrat seiner Arbeitgeberin in Deutschland hätte vor der Kündigung beteiligt werden müssen. Und damit lag er völlig richtig.

Aus dem persönlichen Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) folgt, dass grundsätzlich nur solche Arbeitnehmer der Geltung des BetrVG unterfallen, die in inländischen Betrieben beschäftigt sind. Von diesem Grundsatz ist für im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer dann eine Ausnahme zu machen, wenn der inländische Betrieb auf diese Arbeitnehmer eine sogenannte ausstrahlende Wirkung hat. Dabei kommt es darauf an, ob die Auslandstätigkeit des Arbeitnehmers dem Betriebszweck des inländischen Betriebs dient und er dem Direktionsrecht des inländischen Betriebsinhabers unterfällt. Das war hier der Fall – die Dauer des Auslandseinsatzes hat dabei keine entscheidende Rolle gespielt.

Hinweis: Vor jeder Kündigung ist zunächst einmal der Betriebsrat anzuhören. Viele Kündigungen sind alleine schon deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist.

Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 09.11.2017 – 5 Sa 1006/16

Thema: Arbeitsrecht

Islamist bleibt angestellt: Der Arbeitgeber muss die behauptete Gefährdung von Betriebsfrieden und Sicherheit belegen können

Ein Arbeitgeber kann einem Arbeitnehmer nicht ohne weiteres kündigen, weil dieser womöglich radikale Ansichten vertritt.

Ein bei Volkswagen seit vielen Jahren beschäftigter Montagewerker war durch die Polizei zur Kontrolle und Grenzfahndung ausgeschrieben. Es bestand der Verdacht, dass er sich dem militanten „Jihad“ anschließen wolle. Deshalb wurde ihm auch eine Flugreise nach Istanbul von der Bundespolizei verboten und der Reisepass entzogen – eine dagegen gerichtete Klage des Montagewerkers vor dem Verwaltungsgericht blieb erfolglos. Der Arbeitgeber kündigte dann schließlich das Arbeitsverhältnis, da er den Betriebsfrieden und die Sicherheit im Unternehmen gefährdet sah. Dagegen legte der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage ein – mit Erfolg.

Es hatte weder konkrete Störungen noch einen konkreten dringenden Verdacht gegeben, dass der Arbeitnehmer den Frieden und die Sicherheit im Betrieb stören könnte. Es handelte sich bei seinen Tätigkeiten und den damit verbundenen Konsequenzen also um rein außerdienstliche Umstände. Diese aber können nur in den seltensten Fällen eine Kündigung rechtfertigen. Allein der bloße Verdacht einer Zugehörigkeit zur radikal militanten „Jihad-Bewegung“ und der damit begründete Entzug des Reisepasses waren kein ausreichender Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Hinweis: Alleine der Verdacht der Zugehörigkeit zu einer radikalislamischen Bewegung verbunden mit einem präventiven Entzug des Reisepasses rechtfertigt also noch lange keine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das wird auch für andere als extrem einzustufende Lebensrichtungen gelten.

Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.03.2018 – 15 Sa 319/17

zum Thema: Arbeitsrecht

Diskriminierung extrem dicker Menschen: Das Bundesarbeitsgericht muss über Adipositas als Behinderung entscheiden

Ein schweres Übergewicht kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Behinderung im Sinne des Diskriminierungsrechts darstellen. Wann das möglich ist, zeigt dieser Fall.

Ein Mann hatte einen Body-Mass-Index (BMI) von über 40, was einer schweren Adipositas – also einem extremen Übergewicht – entsprach. Er war im öffentlichen Dienst zunächst befristet für zwei Jahre als Kraftfahrer eingestellt worden. Als das Arbeitsverhältnis auslief, bat der Mann um eine Änderung der Beschäftigung. Diese wurde jedoch abgelehnt. Die Vertrauensärztin bestätigte, dass bei diesem starken Übergewicht mittelfristig mit einer Gesundheitsgefährdung zu rechnen sei.

Der übergewichtige Mann klagte nun vor dem Arbeitsgericht und machte die Unwirksamkeit der Befristung geltend. Die Arbeitgeberin habe ihn wegen seines Übergewichts und damit wegen einer Behinderung benachteiligt. Dieser Auffassung hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) nicht angeschlossen. Eine Behinderung im Sinne des allgemeinen Gleichbehandlungsrechts setzt eine Einschränkung voraus, die auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist. Die Beeinträchtigung muss den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindern. Das war hier jedoch nicht der Fall.

Hinweis: Ein schweres Übergewicht stellt also per se keine Behinderung im Sinne des Diskriminierungsrechts dar. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn das Übergewicht bestimmte Einschränkungen von langer Dauer mit sich bringt. Das LAG ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu.

Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 29.11.2016 – 10 Sa 216/16

Thema: Arbeitsrecht

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