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Schlagwort: Verkehrsteilnehmer

Unbewiesene Vorfahrtsverletzung: Bei Zweifeln am Unfallhergang im zähfließenden Verkehr greift die hälftige Haftungsverteilung

Lässt es der vor einer Einmündung herrschende „Stop-and-go“-Verkehr konkret als möglich erscheinen, dass sich der aus einer untergeordneten Straße einbiegende Verkehrsteilnehmer bereits einige Zeit in Schrägstellung auf der bevorrechtigten Straße aufhielt, ist ein etwaiger Anscheinsbeweis zumindest erschüttert.

Innerorts wollte ein Verkehrsteilnehmer, die Vorfahrt zu beachten hatte, aus einer Seitenstraße auf eine Hauptstraße einbiegen. Auf dieser Hauptstraße herrschte Stop-and-go-Verkehr. Der Autofahrer behauptete, er sei mit seinem Fahrzeug schon überwiegend nach rechts auf die Hauptstraße abgebogen und habe dort ca. 30 Sekunden gestanden, als sein Unfallgegner auf sein Fahrzeug aufgefahren sei. Dieser behauptete allerdings, dass das andere Fahrzeug noch in Bewegung war, als er auffuhr.

Das Oberlandesgericht Hamburg hat hier eine Haftungsverteilung von 50 : 50 vorgenommen. Weder konnte der Abbiegende nachweisen, dass der andere auf sein Fahrzeug zu einem Zeitpunkt aufgefahren sei, als er bereits längere Zeit stand, noch konnte der Vorfahrtberechtigte beweisen, dass sich das Fahrzeug seines Unfallgegners noch in Bewegung befand, als es zum Unfall kam. Hierbei war zu berücksichtigen, dass der auf der Hauptstraße herrschende zähflüssige Verkehr es als möglich erscheinen ließ, dass sich der Abbiegende bereits einige Zeit hinter der Sichtlinie auf der bevorrechtigten Straße aufhielt. Eben deshalb konnte allerdings auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Fahrzeug nicht doch noch in Bewegung befand. Weiterhin war zu berücksichtigen, dass sich die aus den Lichtbildern ersichtlichen Schäden beider Fahrzeuge bei beiden Unfallversionen erklären lassen. Im Ergebnis war daher eine hälftige Schadenverteilung vorzunehmen.

Hinweis: Grundsätzlich ist es so, dass immer dann, wenn ein Unfallhergang nicht aufklärbar ist, eine Schadenverteilung von 50 : 50 vorgenommen werden muss. Dass das Gericht diesen Grundsätzen gefolgt ist, ist vorliegend nicht gänzlich nachvollziehbar, da der abbiegende Verkehrsteilnehmer zumindest mit einem Teil noch in der untergeordneten Straße stand, insofern sein Abbiegen noch nicht abgeschlossen war, so dass eigentlich von einer Vorfahrtsverletzung auszugehen wäre.

Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 27.05.2016 – 14 U 51/16

  Verkehrsrecht

Wartepflichtiger muss warten: Keine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten, wenn dieser trotz Blinkens geradeaus weiterfährt

Kommt es zwischen einem vorfahrtsberechtigten und einem wartepflichtigen Verkehrsteilnehmer zu einer Kollision, spricht der sogenannte Anscheinsbeweis für ein Alleinverschulden des Wartepflichtigen. Dieser Anscheinsbeweis kann nur erschüttert werden, wenn der Wartepflichtige nachweisen kann, dass der Vorfahrtberechtigte nicht nur geblinkt hat, sondern zudem weitere Anhaltspunkte gegeben waren, die auf ein Abbiegen hätten schließen lassen, das letztendlich ausblieb und somit zum Unfall führte. Erst dann kann in der Folge eine eventuelle Mithaftung des Vorfahrtberechtigten möglich sein.

Ein Pkw-Fahrer befuhr innerorts eine Hauptstraße. Er wollte an einer Bushaltestelle anhalten, die sich hinter einer Einmündung befand. Aus eben jener Einmündung kam eine Verkehrsteilnehmerin, die gegenüber dem Verkehr auf der Hauptstraße wartepflichtig war. Im Einmündungsbereich kam es mit dem aus ihrer Sicht von links kommenden Fahrzeug zu einer Kollision. Offen blieb dabei, ob der Vorfahrtberechtigte den rechten Fahrtrichtungsanzeiger – sprich Blinker – überhaupt eingeschaltet hatte. Doch selbst das half der Frau nicht.

 

Das Amtsgericht Frankenthal/Pfalz hat die Schadensersatzansprüche der wartepflichtigen Pkw-Fahrerin verneint. Diese war wartepflichtig, so dass der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung spricht. Selbst wenn der Vorfahrtberechtigte vor der Einmündung rechts geblinkt haben sollte, hätte er hierdurch nicht sein Vorfahrtsrecht verloren. Denn nach der Rechtsprechung kann das Setzen eines Blinkers das Vorfahrtsrecht generell nicht aufheben. Es begründet vielmehr allenfalls ein Vertrauen des Wartepflichtigen, das im Rahmen der konkreten Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile zu berücksichtigen ist. Vorliegend durfte die Wartepflichtige allerdings nicht darauf vertrauen, dass der Vorfahrtberechtigte abbiegt, weil es dafür an weiteren konkreten Anhaltspunkten – wie etwa einer eindeutigen Herabsetzung der Geschwindigkeit – fehlte.

Hinweis: Der gegen den Wartepflichtigen sprechende Anscheinsbeweis kann in der Regel nur erschüttert werden, wenn nachgewiesen wird, dass der Vorfahrtberechtigte nicht nur geblinkt hat, sondern deutliche Anzeichen dafür vorgelegen haben, dass er nach rechts abbiegen wollte, so zum Beispiel – wie das Gericht hervorhebt – durch deutliche Herabsetzung der Geschwindigkeit.

Quelle: AG Frankenthal/Pfalz, Urt. v. 24.11.2016 – 3a C 308/16

  Verkehrsrecht

Kollision mit Überholer: Wer ein Grundstück befährt oder verlässt, den treffen besondere Sorgfaltspflichten

Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein- oder Ausfahren aus einem Grundstück zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden.

Vom Gelände einer Schlachterei kommend wollte ein Verkehrsteilnehmer rechts abbiegen. Als er sich bereits auf der Fahrbahn befand, kam es zu einer Kollision mit einem von rechts entgegenkommenden Fahrzeug, das gerade eine Radfahrerin überholte. Unklar blieb, wie weit der Abbiegende bereits auf der Fahrbahn gefahren war, als es zur Kollision kam. Der Abbiegende verlangte von dem entgegenkommenden Pkw-Fahrer Schadensersatz.

Das Landgericht Kiel hat die Schadensersatzansprüche abgelehnt, weil der Verkehrsunfall allein von dem Abbiegenden verursacht wurde. Dieser habe sich beim Abbiegen so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- und Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden. Er kann sich dabei nicht darauf berufen, dass der Entgegenkommende nicht hätte überholen dürfen. Überholverbote bezwecken nicht den Schutz des aus einem Grundstück in die Fahrbahn einfahrenden Verkehrsteilnehmers. Das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße Einfahrenden gilt grundsätzlich für die gesamte Fahrbahn. Der aus einem Grundstück kommende Fahrer muss sich darauf einstellen, dass der ihm gegenüber Vorfahrtberechtigte in diesem Sinne von seinem Recht Gebrauch macht.

Hinweis: Das Urteil macht deutlich, welche besonderen Sorgfaltspflichten an denjenigen gestellt werden, der ein Grundstück verlässt. Er darf sich nicht nur nach links absichern, sondern muss auch den von rechts kommenden Verkehr beobachten, insbesondere daraufhin, ob Fahrzeuge möglicherweise zum Überholen ansetzen. Gleiches gilt im Übrigen auch für denjenigen, der vom Fahrbahnrand anfährt.

Quelle: LG Kiel, Urt. v. 13.05.2016 – 1 S 2/15
Thema: Verkehrsrecht

Erstattung von Abschleppkosten: Kein Geld nach grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlicher Herbeiführung eines Schadens

Wegen überhöhter Geschwindigkeit kam ein Autofahrer von der Straße ab und stieß gegen ein am Fahrbahnrand abgestelltes Fahrzeug. Die herbeigerufene Polizei entnahm dem Fahrer eine Blutprobe, die einen Blutalkoholgehalt von 1,41 ‰ ergab.

Sein Fahrzeug wurde anschließend auf Vermittlung seines Automobilclubs von einem Abschleppunternehmen abgeschleppt. Von seiner Vollkaskoversicherung verlangte der Fahrer die Erstattung der Abschleppkosten, die diese jedoch verweigerte. Er wandte sich daraufhin an den Automobilclub, der die Kostenübernahme ebenfalls ablehnte.

Das Amtsgericht München hat entschieden, dass der Fahrer die Abschleppkosten selbst zu tragen hat. Aus den Mitgliedschafts-bedingungen des Automobilclubs ergibt sich, dass Kosten dann nicht erstattet werden, wenn das Mitglied den Schaden grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt hat. Indem der Fahrer im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit (ab 1,10 ‰) ein Fahrzeug führte und den Unfall dazu in Kombination mit überhöhter Geschwindigkeit verursachte, lag eine grob fahrlässige Verletzung seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer vor. Diese Pflichtverletzung hat zum Unfall geführt und infolge dessen auch zu den angefallenen Abschleppkosten. Ein Automobilclub kann in seinen Vertragsbedingungen – ebenso wie auch ein Vollkaskoversicherer in seinen Allgemeinen Kraftfahrtbedingungen – einen Ausschluss bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Herbeiführung eines Schadensfalls vornehmen.

Hinweis: Die Entscheidung entspricht obergerichtlicher Rechtsprechung. Der Automobilclub war nicht verpflichtet, sein Mitglied vor Abschluss des Vertrags darauf hinzuweisen, dass bei absoluter Fahruntüchtigkeit ein Haftungsausschluss besteht. Auch bei grober Fahrlässigkeit kann eine Leistungspflicht nicht nur bei Vorsatz gänzlich entfallen, sobald Alkohol mit im Spiel ist.

Quelle: AG München, Urt. v. 15.02.2016 – 142 C 23868/15
Thema: Verkehrsrecht

Willkommen in Schilda! Erkennbar unsinnige Baustellenbeschilderung setzt ihre Geltung selbst außer Kraft

Ist für jeden Verkehrsteilnehmer das Verkehrszeichen erkennbar unsinnig, ist die damit getroffene Anordnung ungültig.

An der Kreuzung eines Gemeindeverbindungswegs und einer Landstraße kam es zur Kollision zweier Fahrzeuge. Die Geschädigte befuhr mit ihrem Auto die Landstraße. Ihr Unfallgegner kam aus ihrer Sicht von links aus dem Gemeindeverbindungsweg. Er befuhr trotz eines Stoppschilds die Kreuzung, obwohl die Geschädigten diese noch nicht verlassen hatte. Beide kollidierten. So weit, so klar. Aber: Zum Zeitpunkt des Unfalls gab es auf der betreffenden Landstraße eine Baustelle, in deren unmittelbarem Bereich diese auch voll gesperrt war. Dadurch gab es an der Unfallkreuzung für Fahrzeuge, die entgegengesetzt zur Fahrtrichtung der Geschädigten fuhren, ein Verkehrszeichen mit dem „Verbot für Fahrzeuge aller Art“ inkl. dem Zusatzschild „Anlieger bis Baustelle frei“. Und natürlich befand sich auch in Fahrtrichtung der Geschädigten an mehreren Stellen das Verkehrsschild „Verbot für Fahrzeuge aller Art“ – hier allerdings ohne den „Anlieger-frei“-Hinweis.

Die gegnerische Haftpflichtversicherung argumentierte nun, dass die Geschädigte aufgrund der Beschilderung ihrem Unfallgegner hätte Vorrang gewähren müssen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe sah das jedoch komplett anders und hat den Unfallverursacher zu vollem Schadensersatz verurteilt.

Denn nach Ansicht des Gerichts war der Mann verpflichtet, das Vorfahrtsrecht der Geschädigten zu beachten. Obwohl die Geschädigte das Verkehrszeichen „Verbot für Fahrzeuge aller Art“ zu beachten hatte, lässt sich hieraus kein schuldhafter Verkehrsverstoß herleiten – denn das in Fahrtrichtung der Geschädigten aufgestellte Verbotsschild ist als ungültig anzusehen. Durch die widersprüchliche Baustellenbeschilderung war die Landstraße logischerweise zur Sackgasse geworden. Zum Unfallzeitpunkt konnten die Fahrzeuge ab der Kreuzung nur noch bis zur Baustelle fahren. Wenn sie in die durch die Baustelle geschaffene Sackgasse hineingefahren wären, hieße das aufgrund der in der Gegenrichtung aufgestellten Schilder „Verbot für Fahrzeuge aller Art“, dass sie nicht mehr hätten herausfahren dürfen. Es ist offenkundig, dass die gleichzeitige Beschilderung „Zulässiges Einfahren für Anlieger“ und „Unzulässiges Ausfahren“ nicht gewollt war und nicht dem Willen der Verkehrsbehörde entsprechen konnte.

Hinweis: Die Ungültigkeit von Verkehrszeichen kann nur unter engen Voraussetzungen angenommen werden. Die subjektive Bewertung eines Verkehrszeichens als „unsinnig“ reicht hierfür nicht aus.

Quelle: OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.06.2015 – 9 U 18/14
Thema: Verkehrsrecht

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